Deutsche Bürgermeister trauen sich bisher nicht, die Städte für den Autoverkehr zu sperren. Die Coronakrise zeigt außerdem, dass die Debatte um die Verkehrswende mit Ratio allein nicht zu gewinnen ist.
Eigentlich zeigen sich doch erfreuliche Sommerbilder, die uns aus den europäischen Großstädten erreichen. Die Madrilenen spazieren gut gelaunt durch ihre Hauptstadt, weil die City für Autos längst tabu ist. Die Radler in Paris nehmen zu und fahren bei herrlichem Wetter durch die Straßen, was wiederum für die Menschen in Kopenhagen und Amsterdam längst Alltag ist. In all diesen Städten haben die Bürgermeister einfach gehandelt und den Autoverkehr in den (Innen-) Städten verboten.
In Deutschland tut man sich damit immer noch äußerst schwer: In München ist es schon ein Highlight, dass für Autos vorgesehene Parkbuchten zeitweise von Gastronomen genutzt werden. Die Berliner feiern die wenigen Kilometer neuer Pop-up-Wege, die es seit Kurzem gibt. In Hamburg waren diese Radwege nur wenige Stunden verfügbar; der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) musste sie wieder abbauen. Und in Köln? Da kommt gar keine Bewegung in dieses Thema. Die Verwaltung hat sich sogar gegen temporärer Radfahrer-Spuren ausgesprochen. In den deutschen Großstädten ist es scheinbar nicht möglich, den Menschen ohne Auto deutlich mehr Raum zu geben.
Das Auto hat immer noch die Nase vorn
Schade, denn man konnte doch für einen Moment das Gefühl haben, dass die Corona-Krise in Deutschland in puncto Verkehr endlich eine Kehrtwende einleiten könne. In den sozialen Netzwerken wurde die Verkehrswende beschworen und es keimte Hoffnung auf, dass nun endlich wesentlich mehr Menschen auf Bahn, Bus und Rad umsteigen würden. Der Realitätscheck ist jedoch ernüchternd.
Aktuell nutzen zweifelsohne mehr Menschen das Fahrrad. Die Fahrradgeschäfte haben sehr gut zu tun und der Wald erlebt einen neuen Ansturm begeisterter Mountainbiker, die bei Sonnenschein und mit E-Motor auf den bisher leisen Pfaden durch die Natur brettern. Doch keinesfalls hat die Corona-Krise dazu beitragen können, dass das Auto im Alltag hundertprozentig Rad, Bahn und Bus weichen musste.
Macht der Autoindustrie zu stark
Das Gegenteil ist passiert. Aus Angst vor Ansteckung werden öffentliche Verkehrsmittel weitestgehend gemieden. Wenn der Sommer vorbei ist, werden nur noch die Hartgesottenen in die Pedale treten. Und die Mehrheit derer, die nach der Sommerpause wieder im Büro arbeiten, wird für zunehmende Staus sorgen. Die Luftverschmutzung würde wieder zunehmen und die Lobby derjenigen weiter gestärkt, die von Anfang an gegen für Autos gesperrte Straßen poltern.
Aber was muss getan werden, wenn der Traum wahr werden soll, dass Kinder sicher in den Innenstädten spielen und die Mehrheit der städtischen Bewohner auch die Mehrheit des Platzes einnehmen darf, weil die Allgegenwart der Autos einer neuen Realität weichen muss?
Die Macht der Autoindustrie sei zu groß, das müsse sich ändern. Und es müsse für mehr öffentlichen Nahverkehr gesorgt werden, heißt es immer wieder. Das ist zwar nicht grundsätzlich verkehrt, allerdings griff dieser Ansatz schon vor der Pandemie zu kurz.
Autos sind Statussymbole. So kann man zeigen, was man sich leisten kann. Und wenn ich einen 100.000 Euro teures Auto habe, möchte ich bitteschön auch jede Menge öffentlichen Raum dafür einnehmen dürfen. Da darf ich aufs Gas treten und selbstverständlich auch drängeln! Frauen machen das zwar auch, doch die schweren und PS-Starken Dienstwagen fahren mehrheitlich immer noch Machos, also Männer, wie Psychologe Rüdiger Hossiep zuletzt bei einem Interview eindrücklich beschrieben hat.
Gefühle mit Gefühlen überwinden
Die eben genannten Statusgründe, ergänzt durch die Angst vor einer Corona-Ansteckung und der damit verbundene Wunsch, in der Öffentlichkeit möglichst lange im privaten, schützenden Kokon unterwegs zu sein, kann nur Folgendes bedeuten: Mit rationalen Argumenten allein lässt sich diese Debatte nicht gewinnen. Ego und Angst lassen sich nicht mit Zahlen zu Verkehrstoten oder Schadstoffwerten ausradieren. Warum nicht einfach neue starke Gefühle wecken, es wäre so einfach: Etwas Mut der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister genügte schon: Städte für den Verkehr sperren und den darauf folgenden kurzen Aufschrei aushalten. Der hätte die Chance, in Staunen umzuschlagen, um vielleicht ein paar Wochen später eine Mehrheit für eine dauerhaft autofreie Stadt zu gewinnen.
Quelle: www.zeit.de